Einige Hersteller bieten intelligente Sensorik, um den Zustand von Pumpen und Maschinen zu erkennen. Doch der Zugriff auf die Daten ist meist eingeschränkt und kostet. Der Industriedienstleister YNCORIS will das ändern und entwickelte eine eigene Lösung, die bald auch anderen Anlagenbetreibern zur Verfügung stehen könnte.

Wie läuft meine Pumpe? Wann ist die Verschleißgrenze meines Aggregats erreicht? Oder: Ist bald eine Ersatzinvestition nötig? Die Antworten auf solche Fragen sind für Anlagenbetreiber ausgesprochen interessant. Mit zunehmender Digitalisierung bieten daher immer mehr Hersteller intelligente Sensorik zu ihren Produkten an. Die Sensorik ermittelt Daten zu Temperatur Schwingungen, oder Luftfeuchtigkeit und sendet sie oder daraus abgeleitete Kennwerte an den Pumpenhersteller. Der wiederum stellt die Daten seinen Kunden zur Verfügung. In der Regel kann der Kunde jedoch nur auf einen Teil der Informationen zugreifen, zudem ist der Service kostenpflichtig. Auch YNCORIS nutzt ein solches Angebot eines bekannten Pumpenherstellers für die Überwachung einer 6-kV Pumpe, die im unternehmenseigenen Rückkühlwerk arbeitet. „Wir haben uns die Frage gestellt, ob wir nicht auch in der Lage wären, solche Daten zu erheben und unseren Kollegen aus den Fachbereichen zur Verfügung zu stellen“, sagt Marco Knödler, Teamleiter MSR-Technik bei YNCORIS. Zusammen mit seinen Kollegen Marius Walzog aus der IT und Frank Schöggl, dem Leiter Automatisierungstechnik, rief er ein Projekt ins Leben. Sie nahmen sowohl die zugrunde liegende Technik als auch die Motivation der Hersteller unter die Lupe und machten sich auf die Suche nach einer eigenen Lösung.

Marktgrenzen verschwimmen

Im Zuge immer neuer digitaler Lösungen vermischen sich die Märkte von Produzenten und industriellen Servicedienstleistern. Durch intelligente Sensorik wissen Pumpenhersteller bereits vor Betreibern und Dienstleistern, ob eine Komponente in Kürze ausfällt oder nicht. Was liegt da näher, auch die entsprechende Instandhaltung anzubieten – und damit in die Märkte der Dienstleister einzudringen. „Wir müssen daher parallel neue, innovative Servicemodelle entwickeln, die uns deutlich von anderen Marktteilnehmern abgrenzen und unsere Kernkompetenz in den Vordergrund rücken“, erklärt Knödler die Motivation für das Projekt.

Das Unternehmen installierte daher ein eigenes System parallel zu laufendem Herstellerlösung einschließlich der nötigen Infrastruktur, um die gewünschten Daten aufzunehmen.

Für die technische Umsetzung holte sich YNCORIS die Experten von Weidmüller ins Boot. Der Spezialist für Industrie-Hardware bietet Komponenten für die Datenerfassung, -kommunikation und -analyse an und ergänzte mit seiner Kernkompetenz die Idee von YNCORIS. In der neuen Lösung senden mehrere Sensoren an der Pumpe die Daten via moderner Funktechnologie über ein Gateway ins unternehmenseigene Netzwerk. Dabei verlassen die Daten nicht den Chemiepark – außer der Kunde wünscht es. Im ersten Schritt der Pilotphase visualisierte die unternehmenseigene IT die Daten auf einer Website, im nächsten Schritt wurden die Informationen und Sensoren in eine IoT-Plattform integriert. Dort können die Fachexperten sowohl auf historische Daten als auch auf Daten in Echtzeit zugreifen und sie analysieren. „Dadurch ist es möglich, die vom Pumpenhersteller erhobenen Daten mit unseren zu vergleichen“, erklärt Walzog. „So erhalten wir einen tiefen Einblick über die Leistungsfähigkeit unseres Sensors und können nachvollziehen, was mit den Daten passiert.“ Die Daten werden dabei bewusst auf einer unternehmenseigenen IoT-Plattform und nicht in einer öffentlichen Cloud gespeichert, um mögliche Vorbehalte aufgrund der sensiblen Prozessdaten gar nicht erst aufkommen zu lassen. Möglich wäre zukünftig neben einer Bereitstellung On-premise beim Kunden auch eine Lösung in einer privaten Cloud.

Vielversprechende Ergebnisse

Die ersten Ergebnisse waren ein Erfolg. Die ermittelten Daten der eigens entwickelten Lösung waren nicht nur detaillierter, sondern deckten sich auch mit denen des Herstellers. YNCORIS stattete daraufhin auch den eigenen Pumpenprüfstand mit der selbst entwickelten Lösung aus. Als Industriedienstleister setzt das Unternehmen rund 800 Pumpen pro Jahr instand. Im eigenen Fundus lagern etwa 6.000 Pumpen und 8.000 Motoren unterschiedlichster Hersteller. Mit den Sensoren am Pumpenprüfstand lassen sich nun die Schwingungskurven von defekten als auch von instandgesetzten Geräten vergleichen. Durch die unterschiedlichen Schadensbilder bei den verschiedenen Aggregaten entsteht umfassendes und belastbares Datenmaterial. Knödler und seine Kollegen sind jedoch davon überzeugt, dass die ermittelten Daten allein kein vollständiges Bild abliefern, sondern die Datenflut in der Prozessleittechnik eher noch erhöhen. Für einen echten Mehrwert müssen aus den erhobenen Daten durch die stärkere Integration von weiterführenden Kenntnissen und Erfahrungen echte Informationen werden. „Wir verknüpfen diese Werte deshalb mit dem Fachwissen unserer Pumpenwerkstatt sowie den Instandhaltungserfahrungen aus dem Chemiepark und generieren so Informationen, die die Anlagenfahrer zum jeweiligen Zeitpunkt wirklich weiterbringen“, sagt Schöggl. „Unser Ziel ist es, zu viele Alarmmeldungen auszuschließen und trotzdem ein vorausschauendes Arbeiten durch zuverlässiges Equipment zu ermöglichen.“ Derzeit testet das Team beispielsweise die Meldung „Ein Schaden kündigt sich an.“ Mit einer solchen Information kann ein Anlagenfahrer deutlich mehr anfangen als mit dem nackten Messwert, wie er in der Regel von den Herstellern geliefert wird. Für Spezialisten will das Unternehmen außerdem ausführliche Daten zur Tiefendiagnose bereithalten.

Schnell zu ersten Lösungen

Das Projektteam fasste bewusst keine hundertprozentige Lösung mit langer Planungsphase ins Auge, sondern legte stattdessen Wert auf eine interdisziplinäre Arbeitsweise mit kurzen Sprints. „Uns war, wichtig, schnell und ohne große Projektorganisation zu einer ersten Umsetzung, einem Minimum Viable Product, zu kommen“, sagt Walzog. „Außerdem nahmen wir bewusst in Kauf, dass sich die ursprüngliche Idee nicht Erfolg versprechend umsetzen lassen könnte. Auf diese Weise haben wir in kurzer Zeit einen Punkt erreicht, an dem wir aus der Wirklichkeit lernen konnten, anstatt auf Papier und Konzepte zu setzen.“ Für Schöggl ist die Lösung eine schlanke Methode, die nicht nur wertvolle Informationen für eine rechtzeitige Instandsetzung liefert, sondern auch hilft, die Erfahrungen der Industriedienstleister mit belastbaren Argumenten zu untermauern. Klar ist schon jetzt, dass das konkrete Projekt weiterlaufen soll.

Security und Safety im Auge behalten

Einen wichtigen Aspekt bei der Digitalisierung bildet die Sicherheit – und zwar sowohl die Sicherheit der Daten als auch die Sicherheit der vernetzten Anlagen und Systeme. „Nicht alles, was sich technisch realisieren lässt, ist auch unter Security- und Safety-Gesichtspunkten sinnvoll“, so Knödler. „Jedes Unternehmen sollte sich sehr genau überlegen, welche Systeme sich beispielsweise mit dem zentralen Leitsystem austauschen dürfen.“ Aufgrund der hohen Sicherheitsanforderungen an IIOT scheuen viele Chemieunternehmen die Umsetzung digitaler Projekte in der Produktion. Daten, die das Team im IIOT generiert, legt das Projektteam daher so an, dass sie keine direkte Auswirkung auf die Anlage haben und nicht zur Prozesssteuerung genutzt werden. Dabei ist die Herausforderung, Monitoring- und Optimierungsmöglichkeiten zu schaffen, die einen Mehrwert für die Prozesssteuerung erzeugen, ohne die Zuverlässigkeit der PLT-Systeme zu gefährden.

Zusammenarbeit in Fachgremien

YNCORIS nähert sich dem Themenkomplex Digitalisierung daher nicht nur Bottom-up mit praktischen Erfahrungen aus dem betrieblichen Alltag, sondern auch Top-down. So gestalten Knödler und seine Kollegen in Normungsgremien und Fachkreisen die Randbedingungen aktiv mit. Dazu zählt beispielsweise die Mitwirkung im Interessenverband der Automatisierungstechnik NAMUR oder bei der Entwicklung der Normungsroadmap „Künstliche Intelligenz“ der DIN.

Für den Chemiepark – und darüber hinaus

Je länger die Laufzeit einer Anlage, desto schwieriger und teurer gestalten sich umfassende digitale Lösungen. Um die Produktion trotzdem effizienter zu gestalten, benötigen Betreiber daher Konzepte, die die bereits vorhandenen technischen Möglichkeiten nutzen und sie geschickt ergänzen. „Wir sehen daher vielfältige Möglichkeiten für den Einsatz im Chemiepark und darüber hinaus“, sagt Schöggl. Gerade der eigene Pumpenprüfstand ermöglicht YNCORIS, das Wissensspektrum durch unterschiedlichste Tests und Experimente immens zu erweitern und Impulse für die weitere Produktentwicklung zu setzen. „Das Schwingungsbild einer Pumpe kann sich am Prüfstand anders darstellen als in der Anlage. Deshalb bringen wir derzeit solche Informationen für definierte Fälle zusammen“, so Knödler.

Weitere Einsatzmöglichkeiten hat das Projektteam bereits im Blick. So sind Aggregate häufig an Stellen platziert, die die Kollegen aus dem Anlagenservice nur mit größerem Aufwand erreichen können. Für solche Stellen könnten diese Sensoren eine große Hilfe sein. Das Unternehmen will daher die Erkenntnisse aus den bisherigen Testreihen auf anderes Rotating Equipment anwenden. Möglich wäre zudem ein mobiler Werkzeugkoffer, um bei Problemen Sensordaten über einen definierten Zeitraum direkt beim Kunden aufzunehmen oder bei der Prozessoptimierung zu unterstützen und tiefere Einsichten in die Anlage zu generieren. „Wir planen außerdem, unsere Daten mit künstlicher Intelligenz weiter zu verfeinern und Pumpen oder Aggregate nicht nur für einen bestimmten Zeitraum, sondern auch mit einer Zuverlässigkeitsgarantie bereitzustellen.“ Das Team ist darüber hinaus mit weiteren Lösungsherstellern im Gespräch.