Haben sie schon einmal gehört, dass jemand einen Arbeitsunfall geltend machen konnte, weil er sich in der Firma mit Grippe, Windpocken oder Masern angesteckt hat? Sicher nicht. Denn solche Infektionen gehörten bisher zum normalen Lebensrisiko. Anders bei einer Erkrankung mit Covid-19. Hier sind einige Berufsgenossenschaften unter bestimmten Voraussetzungen bereit, die Infektion als Arbeitsunfall anzusehen. Dazu zählen zum Beispiel die BG BAU, VGB, BGW und die BG RCI. Wir sagen Ihnen, was Sie dafür erfüllen müssen.
Grundsätzlich entscheiden die Berufsgenossenschaften individuell in jedem Einzelfall. Ein Arbeitsunfall liegt nur dann vor, wenn sich der Mitarbeiter im Rahmen der versicherten Tätigkeit mit Covid-19 infiziert. Er muss außerdem zumindest geringfügige klinische Symptome aufweisen, die spätestens innerhalb von zwei Wochen nach dem Kontakt eingetreten sind.
Darüber hinaus muss der Mitarbeiter nachweisen, dass er sich durch intensiven berufsbedingten Kontakt zu einer oder mehreren infizierten Personen – sogenannte Indexpersonen – mit dem Coronavirus angesteckt hat. Dabei reicht übrigens die Meldung der Corona-Warn-App nicht aus, dass sich ein infizierter Kollege in der Nähe befand. Gleichzeit darf der Mitarbeiter im privaten Bereich nicht mit Corona-Erkranken in Kontakt gekommen sein.
Ob es sich um einen „intensiven berufsbedingten Kontakt“ handelt, hängt vor allem von der Dauer und der Intensität des Kontaktes ab. Die Corona-Schutzverordnung geht dabei von einer Kontaktdauer von mindestens 15 Minuten bei einer räumlichen Entfernung von weniger als eineinhalb bis zwei Metern aus. Laut DGUV kann im Einzelfall auch ein kürzerer Kontakt ausreichen, wenn es sich um eine besonders intensive Begegnung gehandelt hat. Umgekehrt gelte dies auch für einen längeren Kontakt, bei dem der Mindestabstand eingehalten wurde. Eine Begegnung auf dem Flur reicht daher nicht aus. Anders sieht es bei einem Kollegen aus, mit dem der Betroffene im gleichen Büro sitzt oder mit dem er gemeinsam auf engem Raum an einer Anlage schraubt.
Lässt sich keine konkrete Indexperson feststellen, kann im Einzelfall auch eine größere Anzahl nachweislich infizierter Personen innerhalb eines Betriebs oder einer Einrichtung ausreichen. Dies macht die Berufsgenossenschaft abhängig von Fragen, wie: Wie viele infektiösen Personen arbeiten im engeren Tätigkeitsumfeld? Wie ist die räumliche Situation beispielsweise im Hinblick auf Lüftung und Temperatur? Wie hoch sind die Infektionszahlen im Privatbereich des Mitarbeiters?
Der Versicherungsschutz kann selbst dann greifen, wenn die Infektion auf dem Weg zur oder von der Arbeit eingetreten ist. Das gilt weniger für eine Ansteckung in Bus und Bahn, wohl aber für die organisierte Beförderung von Gruppen oder Fahrgemeinschaften.
Bei einem Arbeitsunfall übernimmt die Berufsgenossenschaft medizinische Leistungen, zum Beispiel im Krankenhaus, und zahlt Rehabilitationsmaßnahmen – und zwar in einem Umfang, der häufig über die gesetzliche Krankenversicherung hinausgeht. Sie sorgt nicht nur dafür, dass der Mitarbeiter wieder auf die Beine kommt und wenn möglich seine Arbeit aufnehmen kann, sondern stellt auch Hilfen, damit er am täglichen Leben und der Gemeinschaft teilhaben kann. Zu den Leistungen zählt auch eine Rente bei einer bleibenden Minderung der Erwerbsfähigkeit. Im Todesfall zahlt die Berufsgenossenschaft Hinterbliebenenrente. Sie übernimmt zudem Gesundheitsschäden, die erst später als Folge der beruflich verursachten Erkrankung auftreten. Es lohnt sich also in jedem Fall, einen Arbeitsunfall anzuzeigen.
Bei Verdacht auf eine beruflich bedingte SARS-CoV-2 Infektion sollte der Mitarbeiter sofort einen Arzt aufsuchen und das Gesundheitsamt kontaktieren. Außerdem ist es wichtig, dass Arbeitgeber oder Beschäftigter selbst die Verdachtsanzeige so schnell wie möglich an die jeweilige Berufsgenossenschaft melden. Auch der behandelnde Arzt kann dies bei Verdacht auf eine Berufskrankheit übernehmen. Dabei können Sie das gleiche System nutzen, wie bei einem anderen Unfall mit mehr als drei Ausfalltagen. Die Berufsgenossenschaft wird sich danach mit einem separaten Fragebogen zur Infektion mit Ihnen in Verbindung setzen.
Die Nachweispflicht macht die Anerkennung einer Corona-Infektion als Arbeitsunfall schwer. Das gilt jedenfalls für alle, die nicht in einem Beruf arbeiten, in dem sie dem Coronavirus in besonderem Maß ausgesetzt sind, wie zum Beispiel im Gesundheitssektor. Hinzu kommt, dass Arbeitgeber im Rahmen der Corona-Schutzverordnung eine Vielzahl von Maßnahmen umgesetzt haben, um zu vermeiden, dass sich Mitarbeiter infizieren. Werden diese Maßnahmen von den Mitarbeitern konsequent befolgt, bleibt in der Regel nur ein geringes Restrisiko für eine Ansteckung – und damit auch eine Wahrscheinlichkeit für eine berufsbedingte Erkrankung.
Auf der anderen Seite haben die Berufsgenossenschaften ein Interesse daran, ausschließlich berufsbedingte Corona-Erkrankungen zu übernehmen, um die Versicherungsprämien für ihre Mitglieder nicht in die Höhe zu treiben. Wie die Zahlen der DGUV zeigen, wird daher bei vielen Versicherungsträgern nur ein kleiner Teil der Covid-19-Meldungen als Arbeitsunfall anerkannt.