Das Thema ist ein Dauerbrenner: Im letzten Jahr waren Mitarbeiter durchschnittlich 1,3 Tage im Jahr wegen Rückenleiden krankgeschrieben. Das berichtet die Techniker Krankenkasse (TK) in ihrem Gesundheitsreport. Umgerechnet auf 5,3 Millionen TK-Versicherte entspricht das 6,3 Millionen Fehltage allein aufgrund von Rückenbeschwerden. Dabei sind weder andere Krankenkassen, noch die Tage berücksichtigt, in denen Mitarbeiter trotz Schmerzen zur Arbeit kamen. Doch die Zahl allein zeigt schon, wie wichtig rückenschonendes Arbeiten ist – ob durch die passende Ergonomie am Arbeitsplatz oder das richtige Heben und Tragen. Das gilt für jeden Einzelnen, aber auch für Unternehmen, die sonst auf Produktivzeiten ihrer Mitarbeiter verzichten müssen. Denn Rückenerkrankungen sind in den meisten Fällen nicht nach ein paar Tagen behoben. Im Gegenteil, viele fallen später dauerhaft aus.

Wer jung ist und voll im Saft steht, ist häufig der Ansicht, einfach alles heben, schieben, tragen oder versetzen zu können. Was die meisten dabei vergessen: Beim Rücken ist es wie bei der Haut oder dem Gehör. Falsches Verhalten summiert sich mit der Zeit und kann sich später mit Schmerzen rächen. Gerade in Berufen, in denen Menschen häufig tragen müssen, sollten daher bereits berufsbildende Schulen auf den richtigen Bewegungsablauf hinweisen und Schüler für mögliche Spätfolgen sensibilisieren. Hier hat sich in den letzten Jahren bereits einiges getan.

Leitmerkmal-Methode: Seit 2019 gelten neue Vorgaben

Wieviel jemand heben, halten und tragen darf, legte seit 2001 die Leitmerkmal-Methode (LMM) fest. Viele kennen die Regeln wahrscheinlich noch: Frauen durften generell nicht mehr als 15 Kilo tragen, Männer altersabhängig zwischen 35 Kilo und 55 Kilo. Für häufiges Heben reduzierte sich das Gewicht noch einmal. Denn beim Heben und Tragen wird die Belastung im Wesentlichen durch das Gewicht und die Anzahl der zu bewegenden Gegenstände bestimmt. Diese Einstufung war bereits ein guter Anfang, sie ist allerdings nicht mehr aktuell. Seit 2019 existiert eine überarbeitete Version der LMM, die nicht nur das Geschlecht, das Alter und die Häufigkeit einbezieht, sondern auch noch weitere Faktoren.

Und so funktioniert die neue LMM:

Wenn Sie sich nach der Methode richten, bestimmen Sie im ersten Schritt die Häufigkeit, mit der ein Gegenstand gehoben oder getragen werden muss. Je nach Häufigkeit erhalten Sie einen anderen Punktewert. Danach ermitteln Sie die Belastung, die ihr Mitarbeiter tatsächlich aufbringen muss, um die Last zu bewegen. Die Gewichtungen richten sich dabei nach dem Geschlecht, aber auch nach dem Gewicht, das gehoben oder getragen werden soll. Zwei weitere Punkte, die in Ihre Rechnung einfließen, sind die Lastaufnahmebedingungen und die Körperhaltung. Denn vielleicht sind Ihre Mitarbeiter gezwungen, die Lasten nur mit einer Hand aufzunehmen oder sie müssen die Hände vom Körper weg oder über die Schulterhöhe hinweg bewegen. Auch das beeinflusst das Ergebnis. Zu guter Letzt müssen Sie noch berücksichtigen, ob die Belastungen häufig oder selten wechseln und ob andere Bedingungen die Arbeit negativ beeinflussen. Das können ungünstige Witterungsbedingungen sein, aber auch kaum greifbare Lasten oder eine eingeschränkte Standsicherheit. Alles zusammen ergibt einen Punktewert, aus dem Sie in einer Tabelle einschätzen können, ob die Arbeiten Ihre Mitarbeiter auf Dauer stark beanspruchen und somit gesundheitliche Folgen nach sich ziehen können. Aus der Tabelle lassen sich außerdem direkt Maßnahmen ableiten.

Wichtig ist dabei: Wer auch immer die Leitmethode anwendet, sollte die Tätigkeiten auf jeden Fall gut kennen. Nur so kommen Sie auch zu belastbaren Ergebnissen.

Die Methode ist Teil einer Initiative der EU-OSHA (Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz). Daneben gibt es auch LMM für das Ziehen und Schieben oder bei Körperzwangshaltungen. Sie sind zwar bisher noch nicht in deutsches Recht umgesetzt, doch dies ist nur eine Frage der Zeit.

Auch wenn es zunächst aufwändig klingen mag, die Methode ist einfach umzusetzen und in den Unterlagen der BAUA gut erklärt. Bei Fragen können Ihnen sicher auch die Kollegen aus dem Arbeitsschutz oder Ihre Berufsgenossenschaft weiterhelfen. 

Je weniger, desto besser

Wie immer gilt natürlich auch hier: Am besten sollten Unternehmen vermeiden, dass ihre Mitarbeiter schwer heben oder tragen müssen und – wo immer möglich – auf Equipment setzen, das ihnen die Arbeit im wahrsten Sinne des Wortes erleichtert. Denken Sie außerdem daran, die Ergebnisse aus der LMM auf die einzelnen Mitarbeiter anzupassen, die die Tätigkeit ausführen. Für Schwangere, Behinderte oder Kollegen mit körperlichen Einschränkungen gelten geringere Belastungshöhen. Ihnen müssen Sie zudem eine arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchung anbieten.

Jeden Arbeitsplatz mit der LMM einzeln zu betrachten, kann aufwändig werden. Versuchen Sie daher zu clustern. Ihre Mitarbeiter einer Schicht übernehmen zwar unterschiedliche Arbeiten, doch insgesamt sind die Tätigkeiten für alle Schichten gleich. Im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung und der Mutterschutzprüfung kommen Sie um das Thema sowieso nicht herum. Mit der LMM verschaffen Sie sich im Falle einer Erkrankung Rechtssicherheit und zeigen gleichzeitig, dass Sie die Gesundheit Ihrer Mitarbeiter ernst nehmen.