Über Nachhaltigkeit reden ist gut, machen ist besser … zum Beispiel durch Nutzung von CO2 aus Produktionsprozessen. Denn was gar nicht erst in die Atmosphäre gelangt, kann sie auch nicht schädigen. YNCORIS arbeitet daher mit mehreren Forschungspartnern an einer Lösung, mit der sich aus Abgas Ameisensäure und daraus wiederum ein Biokunststoff gewinnen lässt.
Es klingt vielversprechend: ein Kunststoff, der CO2 als Rohstoff nutzt, von Mikroorganismen hergestellt wird und biologisch abbaubar ist. Genau das ist das Ziel des Forschungsprojekts „Transformate“, zu dem auch Mitarbeitende aus dem Engineering von YNCORIS gehören. „Wir wollen erstmals zeigen, dass es möglich ist, CO2-Abgase zu nutzen, um Ameisensäure und am Ende Polyhydroxybuttersäure (PHB) zu erhalten“, erklärt Dr. Martin Lindmeyer aus dem Projektteam. „Wir sind damit Vorreiter auf diesem Gebiet.“ Eine solche Lösung hätte viele Vorteile: Die CO2-Emissionen sänken, gleichzeitig entstünden neue Grundstoffe für die chemische Industrie und Produkte, die deutlich nachhaltiger und klimafreundlicher wären als konventionelle Kunststoffe. Denn PHB ist ein Biopolymer und kann viele Alltagskunststoffe ersetzen, zum Beispiel Polyethylen oder Polypropylen.
IN ZWEI SCHRITTEN ZUM ERFOLG
Um PHB herzustellen, ist ein zweistufiges Verfahren nötig. Zuerst wird aus CO2-Abgasen, elektrischem Strom und Wasser in einer speziellen Elektrolyse flüssige Ameisensäure. „Dabei ist es unser Ziel, eine möglichst hohe Energieeffizienz, Stromdichte und Ameisensäure-Konzentration zu erzielen“, so Lindmeyer. Der Strom für die Elektrolyse kommt aus erneuerbaren Energien. In einem zweiten Schritt wandeln Mikroorganismen – genauer gesagt: Bakterien namens Cupriavidus necator – die Ameisensäure in das Biopolymer um. Was einfach klingt, ist eine Herausforderung. Denn dazu bringt das Forschungsteam einen neuen synthetischen Stoffwechselweg in das Bakterium ein. Dadurch nutzt das Bakterium Ameisensäure als einzige Kohlenstoff- und Energiequelle.
YNCORIS hat das Conceptual Design zur Planung der Produktionsanlage übernommen, die den gesamten Prozess abbildet. „Unsere Aufgabe ist es, die Anlage so zu planen und zu gestalten, dass sie verfahrenstechnisch machbar ist, sowie die ökonomisch und ökologisch beste Kombination aus Apparaten und Prozessbedingungen zu finden“, sagt Lindmeyer.
ES SIEHT GUT AUS
Derzeit testet das Team das Verfahren im Labor- und im kleinen Technikumsmaßstab. Die Ergebnisse machen zuversichtlich. Denn bisher konnten die Forscher sowohl zeigen, dass der Elektrolyseur funktioniert als auch, dass aus Ameisensäure PHB entsteht. Die Kombination der beiden Prozessschritte, die elektrolytische Ameisensäureproduktion gekoppelt mit der bakteriellen PHB-Herstellung, erproben die Forscher aktuell im Labormaßstab.
Wenn im August der Zeitrahmen für die Konzeptstudie endet, soll auch eine Kostenschätzung für eine Anlage mit einer Kapazität von bis zu 10.000 Tonnen Biopolymer pro Jahr vorliegen. Dabei könnten rund 31.600 Tonnen CO2 eingesetzt werden. Das entspricht in etwa dem Jahresausstoß von knapp 3.000 Menschen in Deutschland. Ab August bewertet das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) das Projekt. Dann klärt sich, ob das Konsortium die nächstgrößere Skalierungsstufe in einem Folgeprojekt untersuchen kann. Lindmeyer: „Schon jetzt ist klar: Die einzelnen Parts sind machbar. Realistisch betrachtet wird es aber noch einige Jahre dauern, um eine solche Anlage im industriellen Maßstab zu bauen und in Betrieb zu nehmen. Doch die Perspektive ist ausgezeichnet.“
Wie entsteht CO2 im industriellen Maßstab und wie gehen Anlagenbetreiber damit um?
Diese Frage ist für Forschende oft nur schwer zu beantworten, denn sie arbeiten im Labormaßstab. Die Mitglieder von „Transformate“ besuchen daher, neben ihrem digitalen Austausch, alle sechs Monate ein Partnerunternehmen. Das letzte Treffen richtete YNCORIS aus. Neben Diskussionen über die Elektrolyse am Modell des eingesetzten Elektrolyseurs und der biotechnologischen Umwandlung lag der Schwerpunkt darauf, den Chemiepark Knapsack und dessen Anlagen live zu erleben. „Für viele unserer Kolleg*innen aus der Forschung war es das erste Mal, dass Sie mit dem Ersatzbrennstoffkraftwerk der EEW eine typische CO2-Quelle im großen Maßstab besuchten“, so Lindmeyer. „Solche Kraftwerke könnten später den Rohstoff für die Bakterien liefern.“ Außerdem erfuhren die Teilnehmenden, wie Ameisensäure auf dem Knapsacker Hügel industriell eingesetzt wird, welche Polymere die Unternehmen herstellen und was neben der reinen Forschungstechnik an Randbedingungen für eine erfolgreiche Realisierung einer Anlage nötig ist. Lindmeyer: „Denn bei der Transformation vom Labor- oder Technikumsmaßstab hin zur industriellen Anlage stellen sich ganz andere Herausforderungen an Sicherheit, Energieversorgung und Logistik.“